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Federlese - Philosophie-Podcast | philosophy podcast: Seite 4
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Vom Verstehen

»Alles Verstehen ist [...] immer zugleich ein Nicht-Verstehen, alle Uebereinstimmung in Gedanken und Gefühlen zugleich ein Auseinandergehen.« Dieser Satz aus Humboldts Schrift »Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaus« ist schauerlich und schön und wahr. Ich erinnere mich, wie Tom ihn geflüstert hat, als er mir den Text im Dunkeln, vor der Tübinger Burse, übergab. Ich verstand ihn nicht sofort, Tom und den Satz, nicht völlig. Und auch jetzt verstehe ich Humboldts Satz wahrscheinlich etwas anders als Tom es tut. Ein Satz, der sich selbst erklärt, sich selbst betrifft, wie kristallin.
Im Zusammenhang des Textes wird der Satz vom Verstehen und Nicht-Verstehen wesentlich klarer. Aber weil er mich berührt hat, greife ich ihn zuvor heraus. Vielleicht wird er, einmal gelesen, hier und jetzt, beim Hören dann die Stellung erlangen, die ihm zukommt. Nun sei aber nicht zuviel verraten. Nächstens mehr.


27. November 2005, 00:41 von Fee

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F. Nietzsche »Nur Narr! Nur Dichter!«

Ein Gedicht, besser, ein Lied soll den Anfang machen, da wir doch philosophische Texte lesen wollten? »Nur Narr! Nur Dichter!« von Friedrich Nietzsche hat nicht die Form einer gewöhnlichen theoretischen Abhandlung und mißachtet in kühner Weise das Gebot, seinen Gedanken möglichst deutlich darzustellen und rational zu begründen. Gleichwohl: »Nur Narr! Nur Dichter!« ist philosophischer als es auf den ersten Blick erscheinen mag.

Als »Lied der Schwermuth«, vom alten Zauberer gesungen, ging das Gedicht in den 1885 erschienenen vierten Teil von »Also sprach Zarathustra« ein. 1889 tauchte es in überarbeiteter Fassung als Eingangslied der »Dionysos-Dithyramben« wieder auf, nun mit dem Titel »Nur Narr! Nur Dichter!«. Die Gedichte greifen zwar nicht auf den echten Dithyrambos zurück, eine Form griechischer Chorlyrik, aus der die Tragödie entstanden ist, sie bringen jedoch den ‚Geist‘ des Dionysischen in berückender Weise zum Ausdruck: das Zerbrechen des überkommenen Wahrheitsverständnisses und die Entlarvung des Scheins subjektiver Identität.

Von schadenfrohen Sonnen-Gluthblicken wird der Philosoph, der Freier der Wahrheit, verhöhnt: Er sei ja nur ein Dichter: »ein Tier, ein listiges, raubendes, schleichendes, / das lügen muss«. Der Philosoph, zerklüftet in ein ‚ich‘ und ein ‚du‘, vermag sein Sprechen mit großem rhetorischen Aufwand gerade noch aufrecht zu erhalten, wankt jedoch schon gefährlich am Rande des dionysischen Abgrunds, am Rande des Unaussprechbaren. Aus seinem Wahrheits-Wahnsinne, aus seinen Tages-Sehnsüchten sank er hinab, indem er der Unentrinnbarkeit der Lüge gewahr wurde: Er ist nur ein Narr, ein Dichter, der hinter jeder Maske immer nur eine weitere Maske findet, sich selbst zur Beute, da in seinem Sprechen sein eigenes ‚Ich‘ grundlegend bedroht, sogar zerrissen wird.

In einem nachgelassenen Fragment Nietzsches heißt es: »Die Welt erscheint uns logisch, weil wir sie erst logisirt haben«. Diesem Schein gerecht zu werden, heißt für Nietzsche, musikalisch zu werden, das Lied als ‚philosophischer‘ zu begreifen als den Traktat.

Reinhören:


audioF. Nietzsche »Nur Narr! Nur Dichter!« [?]
(Download 3,6 MB)



Literaturhinweis:
Erich Meuthen: Vom Zerreißen der Larve und des Herzens. Nietzsches Lieder der „höheren Menschen“ und die „Dionysos-Dithyramben“, in: Nietzsche Studien. Internationales Jahrbuch für die Nietzsche-Forschung, Bd. 20 (1991), 152-185.


Text von »Nur Narr! Nur Dichter!« bei Projekt Gutenberg


16. November 2005, 18:11 von der Redaktion

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